Grad der Behinderung 100:
Früher hatte ich ein ganz konkretes Bild dazu im Kopf, wie Menschen aussehen, die zu 100% schwerbehindert sind.
Und dann kam mein kleiner Sohn auf die Welt.
Die ersten Monate waren unauffällig, doch bald danach merkte man, dass irgendetwas anders ist.
Niemals hätte ich damals daran gedacht, dass mein Leben einmal so aussehen wird.
Wovon 13-jährige Mädchen träumen
Ich wollte Kinder.
Immer schon.
Mit 13 versank ich regelmäßig in Tagträume über meine Hochzeit und meine eigene Familie.
Ich hörte romantische Klaviermusik von Richard Clayderman auf meinem Walkman und lag mit geschlossenen Augen auf dem Bett.
Ich stellte mir vor, wie ich mit einem weißen Kleid den langen Gang bis zum Altar hinunterschreite.
Mein Zukünftiger war nur schemenhaft erkennbar, ich habe keine Erinnerung an ihn.
Wohl aber an das tolle Kleid:
Vorne ganz kurz und nach hinten immer länger, mit langer Schleppe, wie im Video „November Rain“ von Guns‘n Roses.
Schnitt.
Jahre - viele Jahre später

2018.
Ich bin seit 5 Jahren verheiratet.
Und bevor du fragst:
Nein, mein Kleid sah ganz anders aus.
Aber nicht weniger schön.
Ich laufe mit meinem großen Sohn und unserem Kleinen in der Trage vor meinem Bauch, als meine Freundin mich fragt:
„Habt ihr eigentlich die Familienplanung abgeschlossen?“
Ich, noch immer traumatisiert von den zwei Geburten meiner Kinder, antworte müde:
„Weißt du, ich wollte immer drei. Heute denke ich, ich habe zwei gesunde Kinder geschenkt bekommen. Was will ich mehr?!“
Wenn ich zu dem Zeitpunkt gewusst hätte…
Grad der Behinderung 100 - von wegen: gesundes Kind…
Es ist einer der Sätze aus meinem Mund, die ich nie wieder vergessen sollte.
Was in den nächsten Jahren folgte, war eine Tortur.
Für alle Beteiligten.
Eine Achterbahnfahrt der Gefühle.
Arztbesuche, Krankenhausaufenthalte, Ernährungsumstellung, Blut- und sonstige Untersuchungen – harmlose und unangenehme, Übergriffe, Reizüberflutung und viele, viele Tests und Therapien.
Dann das große Finale:
Der Moment, in dem du den Schwerbehindertenausweis in den Händen hältst:
Grad der Behinderung 100.
Über das Leben mit unserem Finn habe ich an anderer Stelle einen ausführlichen Blogbeitrag geschrieben:
Diagnose: Seltener Gendefekt bei Kindern.
Was bedeutet Grad der Behinderung 100?
Der GdB (Grad der Behinderung) gibt Auskunft über die Schwere der Behinderung.
Er zeigt an, ob ein Mensch seinen Alltag bewältigen kann oder nicht. Verglichen wird mit Menschen, die nicht an einer Behinderung leiden.
Der GdB variiert zwischen 20 und 100.
Ab einem Grad der Behinderung von 50 gilt ein Mensch als schwerbehindert.
Der GdB von 100 ist die höchstmögliche Stufe.

Der Antrag auf einen Grad der Behinderung wird beim Versorgungsamt gestellt.
Der Grad der Behinderung wird anhand von bestehenden medizinischen Diagnosen vergeben oder muss im Rahmen einer medizinischen Untersuchung (Gutachten) festgestellt werden.
Die Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis

Auf dem Schwerbehindertenausweis befindet sich Platz für verschiedene sogenannte Merkzeichen, die mit dem Grad der Behinderung 100 vermerkt werden können.
Dies setzt die Prüfung voraus, ob diese Merkzeichen bei der schwerbehinderten Person vorliegen.
Nachfolgend eine Liste der möglichen Merkzeichen:
H = Hilflos: Der Mensch ist alleine hilflos.
GL = Gehörlos
BL = Blind
G = Erhebliche Gehbehinderung
aG = Außergewöhnliche Gehbehinderung
B = Dieser Mensch braucht eine Begleitung zur Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln
Um einen Behindertenparkausweis zu bekommen, benötigt man beispielsweise das Merkzeichen „aG“.
Finn hat in seinem Schwerbehindertenausweis die Merkzeichen „H“, „G“ und „B“.
Vorteile durch den Grad der Behinderung 100
Es gibt es verschiedene Vorteile durch den Grad der Behinderung 100.
Je nachdem, wie alt der Betroffene ist, machen manche jedoch noch keinen Sinn oder keinen Sinn mehr.
Unser Sohn Finn ist heute 4 Jahre alt, weswegen es ihn und uns nicht interessiert, dass er Zusatzurlaub beim Arbeitgeber beantragen oder früher in Altersrente gehen kann.
Doch andere Vorteile beim Grad der Behinderung 100 sind durchaus für uns wichtig und machen das Leben zum Teil deutlich einfacher:
Zum Beispiel Ermäßigungen: Finn bekommt durch den Schwerbehindertenausweis Eintritts-Vergünstigungen oder gar freien Eintritt, zum Beispiel im Theater, im Schwimmbad, im Zoo, im Kino, im Museum etc.
Das Merkzeichen B in Finns Schwerbehindertenausweis bedeutet, dass er für alles eine Begleitperson braucht, die in vielen Fällen kostenfreien Eintritt bekommt.
Das B sorgt zudem dafür, dass Finns Begleitperson – in seiner Anwesenheit – kostenfrei Bus, Bahn und Zug nutzen kann.
Sogar ICE-Fahrten und innerdeutsche Flüge mit der Lufthansa sind für Finns Begleitperson kostenfrei.
Weitere Vorteile (die Liste ist nicht vollständig!):
- Durch den Grad der Behinderung 100 können Betroffene steuerliche Vorteile geltend machen (2.840 Euro Steuerfreibetrag)
- Bei GdB 100 kann die Kfz-Steuer um 50% reduziert werden
- Es gibt Vortritt bei Behördenbesuchen
- Ermäßigung der Kurtaxe
- u.a.
Je nachdem, welches Merkzeichen auf dem Schwerbehindertenausweis eingetragen ist, gibt es weitere Nachteilsausgleiche.
Pflegegrad und Schwerbehinderung im Kindesalter
Wenn der Medizinische Dienst zur Erstellung des Gutachtens für den Pflegegrad bei uns ist, prüft dieser, wie sehr sich Finns Entwicklung von anderen, gleichaltrigen Kindern unterscheidet.
Je größer der Abstand, desto höher der Pflegegrad.
Aktuell hat Finn Pflegegrad 3. Da eine erneute Prüfung ansteht, ist es möglich, dass er Pflegegrad 4 bekommt, da der Abstand zu Gleichaltrigen inzwischen enorm ist.
Finn ist zu diesem Zeitpunkt 4 ½ Jahre alt, der Entwicklungsstand liegt bei etwa 1 ½ bis 2 Jahre.
Sprachlich gesehen ist er etwa ein Jahr alt.
Finn kommuniziert viel mit seinen Händen oder Lauten, die er von sich gibt, jedoch nicht mit Worten.
Was alle Kinder brauchen – egal, wie besonders sie sind
Früher hatte ich ein ganz bestimmtes Bild im Kopf, wie behinderte Menschen aussehen.
Menschen, die einen Grad der Behinderung 100 zugeteilt bekommen haben.
Damals dachte ich an Menschen, die im Rollstuhl sitzen, die nicht am Leben teilnehmen, die in die Luft starren, die nichts, aber auch gar nichts selbständig tun können.
Heute weiß ich es besser.
Finn nimmt am Leben teil, wenn auch eingeschränkt.

Er liebt es, mit uns Bindungsspiele zu spielen.
Überhaupt ist Spielen mit Kindern total wichtig.
Egal, welchen Alters, egal, ob altersgerecht entwickelt oder nicht.
Jedes Kind braucht Bindung.
Auch wenn wir manchmal denken mögen, dass ein beeinträchtigtes Kind das alles nicht mitbekommt.
Das trügt.
Kinder brauchen Nähe.
Kinder brauchen Verbindung.
Sie brauchen Unterstützung mit ihren negativen Gefühlen.
Sie brauchen UNS.
Vielleicht sogar noch etwas mehr als „normale“ Kinder.
Dafür haben wir Eltern von beeinträchtigten, ja, behinderten Kindern ein Leben lang Zeit.
Denn wir werden sie noch lange begleiten dürfen.
Wenn du auch ein besonderes, beeinträchtigtes, behindertes Kind hast und dir jemanden an deiner Seite wünschst, der dir zuhört, der dich versteht, dann sichere dir dein kostenfreies Kennenlerngespräch mit mir.
Von Herzen und in Verbundenheit,
Deine Jenniffer